Wer ohne goldenen Löffel im Mund geboren wurde, für den / die ist Golf spielen nach wie vor ein hartes Stück Brot, weil Jobs beschissen bezahlt werden und zwar genau von jenen Chefs, die in Golfclubs abfällige Bemerkungen über Nassauer, Billig-Golfer und Habenichtse machen. Sie werden nie begreifen, dass Golf ein Sport des Herzens ist - und nicht der gemeinsame Nenner aller Steuerflüchtlinge.
Eigentlich hatten wir geplant, auf unserem schönen, kniffligen Kurzplatz zu spielen. Aber als ich dann von Sabine erfuhr, dass sie noch nie ein Turnier gespielt hatte, schlug ich ihr vor, das 9-Loch Turnier mitzuspielen, das unser Club Freitags für Anfänger veranstaltet. Sie willigte ein, war kaum aufgeregt und sagte nur, dass ihr Handicap-Jägerei eigentlich egal sei. Sie wolle nur Spaß haben.
Ich erklärte ihr, dass diese Handicap-Jägerei in Deutschland zwar abartige Formen angenommen habe, aber die Intention in der Vergleichbarkeit verschiedener Spieler läge, die sich in einem Wettkampf nur dann fair messen können, wenn sie ein korrektes Handicap spielen. Während in den USA jede beglaubigte Runde fürs Handicap zählt, wodurch die aktuelle Spielstärke erfasst wird, muss man in Deutschland die „vorgabewirksamen Turniere“ des Monopolisten spielen, was viele Leute nicht machen wollen oder können. Deshalb sind die Handicaps hierzulande oft eine Farce.
Sabine Oelmann sah das mit dem fairen Vergleich ein und so spielten wir dieses 9-Loch Turnier. Sie ließ es laufen, gewann mit 47 Netto-Punkten den 1. Platz und rutschte auf Handicap 35.
Ich ließ es auch laufen und stolperte dabei 33 Punkte zusammen, was ich immerhin mit einem gewissen Humor betrachten konnte.
Auf der 2. Bahn, einem Par 3, nagelte sie ihren Ball mit dem Eisen 5 auf die rechte Grünseite und schob die Kugel auf dem (damals) sehr schnellen Grün mit sensiblem Touch bergab ans Loch. Sie spielte Par, während ich meinen ersten Bogey notierte.
Aufmerksam beobachtete ich die junge Dame, während sie das 3. Fairway mit einem uralten, geliehenen 10 Grad Callaway-Driver spaltete. Ihre klobigen, alten Wilson-Schläger waren offensichtlich zu kurz, aber „da sie sich mit Golf nicht auskennt“, wie sie meinte, war ihr das egal. „Hauptsache es funktioniert“, sagte sie, und “Ich will Spaß haben, ich will einfach nur Golf spielen und über nix nachdenken. Ich lass´ es laufen.“ Ich lass´ es laufen - das war ihr Slogan.
Wenige Tage zuvor hatte ich ein Matchplay über 9 Loch gegen einen Lokalmatador gewonnen, vermutlich weil ich an diesem Nachmittag gedopt war mit Substanzen, die ich wegen überhitzter Nerven und vegetativer Störungen schlucken musste. Nachdem ich auf der 4. und 5. Bahn jeweils ein Birdie gespielt hatte, stand mein Doc, der eilends herbeizitiert wurde, am 6. Abschlag und wurde Zeuge, wie ich kurz darauf zum 3. Birdie in Folge einlochte.
Er hatte mir am Nachmittag vor der Runde eine Infusion verpasst und schien nun zu grübeln, ob er sich das Zeug nicht mal selbst reinpfeifen sollte, denn es folgten noch zwei Pars unter schwierigen Bedingungen. Auf dem 9. Abschlag, zwei unter für die Runde, war ich von tiefem Seelenfrieden erfüllt.
"Du hast doch jetzt Druck, oder?“, fragte der Matador, der das Match bereits verloren hatte. „Du musst doch jetzt DRUCK haben?! Zwei unter, das musst Du jetzt REINBRINGEN!“
„Ich muss gar nichts“, sagte ich, dachte weder über meinen Griff noch sonst was nach und schlug einen herrlichen Drive ins Tal. Der Ball lag exakt da, wo ich die Woche zuvor mit dem Holz 3 den schönsten 2. Schlag meines Lebens gemacht hatte, über die Bunkerreihe kurz vors Grün.
Diesen Schlag visualisierte ich mir, aber da ich über dem Ball stand, hookte ich nach links. Mein Mitspieler schaute bedenklich. „Könnte im Aus sein.“
Ich dachte nicht nach und anstatt sicher vorzulegen, spielte ich den 2. Ball ebenfalls mit dem Holz 3, wieder nach links. Aber beide Bälle fanden sich. Ich schlug ein Eisen 8 aus dem Rough an den rechten Grünrand, der Chip bergab war sehr aggressiv, weil ich lochen wollte, um die Welt anzuhalten, wie das Don Juan nennt. Aber die Welt wollte nicht anhalten und der Ball auch nicht. Er lief über das Loch und rollte weiter. Viel zu lang. Der Putt zum Par war sehr schön, aber der Ball lag nur neben dem Loch, also eine Sechs. Ich beendete die 9-Loch Runde als Sieger im Matchplay mit eins unter Par.
Daran dachte ich, während ich Frau Oelmann beobachtete. An diesem Tag hatte ich es laufen lassen. Ich tat, ohne zu Tun und die Dinge passierten. Heute weiß ich, dass man diesen Zustand FLOW nennt, der aber nur dann "geschieht", wenn etliche Komponenten zusammenkommen, um sich in einem Moment der Gnade zu vereinen: Richtiges Training, kluges Spiel, Entspannung im Kopf, gelöster Rücken, Glück und den Mut, den es braucht, um das, was man erarbeitet hat, loslassen zu können.
Für den nächsten Tag hatten wir eine 18-Loch Runde geplant. In Winnerod herrschte brütende, schwüle Hitze, aber Frau Oelmann schien gewappnet. Sie habe nicht nur mein Buch "Der Weg der weißen Kugel" gelesen, sagte sie, sondern auch meine Geschichte „Am Rande des Wahnsinns“ (später in Golf Gaga erschienen), weshalb sie mit dem Spiel bei sengender Hitze durchaus vertraut wäre.
Sie zählte mich „Strokeplay“, ich zählte sie nach Stableford. Gegeneinander spielten wir Matchplay, dabei hatte sie pro Bahn nur einen Schlag vor. Das mag unfair klingen, aber – ich bin doch nicht verrückt! Ich hatte diese Frau am Tag zuvor spielen sehen! Und Putts wurden auch keine geschenkt.
Bis dahin lag ich 3 über Par! Ich wollte diese Runde unbedingt zu Ende bringen, sie auch. Fast zwei Stunden hockten wir in der Schutzhütte am 16. Abschlag und als wir hungrig wurden überlegten wir, ob man ein Kaninchen mit einem getoppten Ball erlegen könnte. Aber das Handy funktionierte auch nicht und selbst wenn, hätten sich die Kellner vermutlich geweigert, uns bei diesem Wetter Salz und Pfeffer zu bringen.
Ich fummelte an meinem neuen Entfernungsmesser rum, der aber keine Auskunft darüber gab, wann die sintflutartigen Regenfälle aufhören würden, die dem Gewitter folgten.

Zu früh zogen wir weiter. Der pitschnasse Platz und die Angst vor den bedrohlich nahen Blitzen kosteten uns auf den letzten Löchern einige Schläge. Ich brachte eine 9 über Par rein und Sabine spielte 51 Stableford-Punkte, wie unser Manager später ausrechnete. Obwohl sie nur einen Schlag pro Bahn vor hatte, gewann sie das Match eins auf.
Tja, so hat sie es auch an diesem Tag laufen lassen und ich zog meinen Hut, den ich jetzt noch respektvoll in der Hand halte.
Ihr / Euer
Eugen Pletsch
PS: Dieser Text ist eine aktualisierte Überarbeitung der Originalfassung von 2008.
Seitdem hat Frau Oelmann viele Runden Golf gespielt, wurde von Hickory-Weltmeister Perry Somers zur Hickory-Spielerin ausgebildet, begleitete The Great Match in Schottland und wurde "einstellig", bis ihr alte Fussverletzungen dazwischenfunkten.
Wenn es ihre Zeit erlaubt, schreibt sie hin und wieder etwas in ihrem Blog.
Immer wieder hilft sie mir bei meiner Arbeit auf Cybergolf und ich hoffe, dass Sie selbst irgendwann damit beginnt, ihre Erlebnisse in Schottland in einem Büchlein zu verarbeiten, das manchen Anhänger des traditionellen Golfspiels interessieren dürfte.
© by Eugen Pletsch